Montag, 6. Dezember 2010

Politik und Paranoia

Politik und Paranoia


Selbst das panegyrische Gedicht, die nackte Lobhudelei, wurde jetzt als verkappte Dissidenz ausgelegt. Man hatte angeblich opponiert – wann, wo und wie? Bildlich aus und versteckt aus dem Busch? Nur gut, dass Felix die hypertrophe Heuchelei, die später deutlich zunahm und auf den Gipfel getrieben wurde, nicht mehr erleben musste. Seine aufrichtige Empörung registrierte ich damals nur nebenbei, ohne sie ganz ernst zu nehmen, weil ich sie als Symptomatik einer zunehmenden „Paranoia“ deutete. Felix wusste nichts von seiner Krankheit.
Während seine Aufklärungsarbeit in Dortmund verpuffte, selbst in konservativen Kreisen der CDU, die damals mit Kurt Biedenkopf gegen Johannes Rau antrat, verfiel er psychisch mehr und mehr. Der fehlenden Anerkennung und Resonanz folgten die Enttäuschung, die Resignation und bald darauf der fatale Rückzug ins Schneckenhaus, die freiwillige Isolation - und mit ihr die endgültige Vereinsamung. Als ich merkte, wie er in gefährlicher Einsamkeit versank und wie er, der einst humanistisch liberale Kosmopolit, gleichzeitig politisch ins äußerst rechte Lager tendierte, versuchte ich noch diese tragische Entwicklungen aufzufangen, indem ich ihn wie ein Kind bei der Hand nahm und zusammen mit ihm in die „Christlich Demokratische Union“ eintrat. Wir hatten schon vorher im Rahmen unserer bescheidenen Einflussmöglichkeiten in den Wahlkampf eingegriffen und in unserem Umfeld für Kurt Biedenkopf in Nordrhein-Westfalen und Franz Josef Strauß als Kanzlerkandidat geworben. Nun glaubte ich, dass er im konservativen Lager unter wahrhaftigen Christen und überzeugten Demokraten künftig gut aufgehoben sein würde. Doch sein „Messianismus“ wurde auch von Christen belächelt. Bald fand er nur noch in einer extremen Ecke Gehör und Beachtung, bei Verleger Frey etwa, der die Nationalzeitung herausgab. Die Gesellschaft, die ihn nicht verstand, die kein Ohr für seine Botschaften hatte, die anderen mehr vertraute als ihm, schrieb ihn bald endgültig ab und ließ ihn, den verkannten Märtyrer, fallen; einen Verdienten, der die nationalen Werte unter persönlichem Opfer stets hochgehalten und für sie gelitten hatte, einen unter den vielen Namenlosen, die ähnlich handelten und deren Opfer fast umsonst war. Dafür wurden andere, die traditionelle Werte, die keine alten Zöpfe waren, verhöhnt, ja darauf gespuckt hatten, nunmehr öffentlich geehrt. „Umwertung aller Werte“ in Literatur und Gesellschaft!? Nietzsche hatte sich diesen Prozess anders vorgestellt. Die moralische Entrüstung einzelner Akteure, die im Grunde nur Bigotterie war, triumphierte über die Wahrheit. Die Lüge wurde der Mehrheit als Wahrheit serviert. Kein Wunder, wenn bereits die elitären Griechen des Altertums der demokratischen Staatsform misstrauten und statt ihrer eine aristokratische Regierung der Philosophen anstrebten. Es blieb bei meinem Versuch, die tragischen Entwicklungen des Freundes aufzuhalten.
Als ich, noch vor der politischen Wende in Bonn, den späteren Bundeskanzler Helmut Kohl bei einer Wahlveranstaltung in Erlangen zum ersten Mal persönlich zu Gesicht bekam, glaubte ich selbst noch an die Ideale der CDU und lieferte - als guter Christ - aus meinem schmalen Auszubildendenbudget auch meine Mitgliedsbeiträge ab, die auch munter und pünktlich von der Volkspartei abgebucht wurden, um späterhin festzustellen, dass die Stiftung dieser Partei, die Konrad-Adenauer-Stiftung, sehr wohl bereit war, die Gegner des Deutschtums mit Literaturpreisen zu fördern, während für die Bezuschussung oder sonstige Förderung eines Manuskripts über die Freiheit keine Mittel bereitstanden. Schlimmer noch, als ich später im Zuge meiner Recherchen zur „Symphonie der Freiheit“ an die KAS herantrat, um mehrfach berechtigte Fragen zu stellen, wurde ich brüsk abgewimmelt – wie bei den Kommunisten. Fakten, Wahrheit interessierten nicht weiter. Der KAS genügten die „Wahrheiten“, die sie schon hatte. Mir reichte das jedoch nicht. Ich habe die Angelegenheit um „moralische und politische Integrität“ öffentlich gemacht. Doch auch das ist eine andere Geschichte, die noch längst nicht ausdiskutiert ist.
Ein Deutscher Gewerkschaftsbund, der die „Freie Gewerkschaft rumänischer Werktätiger“ SLOMR weder fördern, noch sonstwie unterstützen wollte - und damit die Voraussetzungen schuf, dass ein totalitäres Regime sieben weitere Jahre an der Macht bleiben, Menschen quälen und vernichten durfte - sowie eine Christliche Union, die den alten Leitspruch „Freiheit statt Sozialismus“ fast schon vergessen und ihren Sinn für die wahre Freiheit verloren hat, dafür aber diejenigen fördert, die das Aufrechterhalten der „deutschen Identität“ und der Heimat mit Füßen traten,  die alles taten, um sie zu erniedrigen und zu beschmutzen - das waren damals und das sind auch heute noch die Fakten. Felix hatte diese Negativ-Entwicklungen sehr klar gesehen, prophetisch klar, viel klarer als ich. Und er hatte schwer darunter gelitten. Schließlich war er an diesem Leiden zerbrochen – „nemo propheta in patria!“

Foto: Privatarchiv Carl Gibson

Temeschburg (Timisoara) im Banat, Rumänien - unser gemeinsamer Wirkungsort,
die Pestsäule am Domplatz - im Hintergrund:
der ( katholische) Dom.
Bis zum Fall des Kommunismus in Osteuropa war unsere Rückkehr (Besuch) ausgeschlossen.  



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