Sonntag, 8. Dezember 2013

Europa, USA und die Diktatoren Nordafrikas – brauchen wir einen neuen Krieg im Namen von Freiheit und Demokratie?

Europa, USA und die Diktatoren Nordafrikas – brauchen wir einen neuen Krieg im Namen von Freiheit und Demokratie?



Durchsetzung von "Freiheit und Demokratie" - ein vorgeschobener "Kriegsgrund"?

Zum Missbrauch ethischer und moralischer Positionen in der Machtpolitik. 


Die Heuchelei schreit zum Himmel, nicht nur in der deutschen Innenpolitik,
wo man Moral und Unmoral nicht mehr recht auseinander zu halten weiß.

Auch in der Außenpolitik bahnen sich unerfreuliche Entwicklungen an.

Ein möglicher Krieg steht ins Haus –
und wieder gibt es Kräfte, die einen weiteren Krieg vom Zaun brechen wollen,

mit unübersehbaren Folgen für den Nahen Osten,
für die Energieversorgung der Welt,
für die politische Stabilität in Europa, auf das unübersehbare Flüchtlingsströme zukommen werden.

Hunderttausende können die freien Grenzen gen Norden passieren, vielleicht sogar Millionen, Unterdrückte des Schwarzen Kontinents, um deren Los sich bisher keine Völkergemeinschaft (UNO) gekümmert hat.

Wieder wird nach einem Kriegsgrund gesucht.

Die USA entdecken erneut ihre geistig-moralische Mission als „Leitnation der Freiheit“ –

und Präsident Barack Obama will angeblich nicht mehr weiter zusehen, wie ein Volk um seine Freiheit und dabei von einem rücksichtslosen Diktator blutig unterdrückt, ja vernichtet wird.

Welch ein Sinneswandel!

Ganz Afrika ist eine Diktatur!
Und alle Diktaturen und Diktatoren wurden bisher hingenommen,
aus Gründen der Staatsraison,
aus Gründen der Energieversorgung,
aus Geschäftsinteressen,
ja sogar aus Bequemlichkeit,

weil die mehr oder weniger gemäßigten bzw. rabiaten Diktatoren Nordafrikas Europa über Jahrzehnte vor den direkten Auswirkungen des Exodus aus Afrika bewahrten.

Doppelzüngig war vieles, was sich Europa in den letzten Jahren und Jahrzehnten leistete.

Statt eigene Machtpolitiker jenseits der Moral in die Schranken zu weisen – wie Silvio Berlusconi in Italien, der gern auch mit Oberst Gaddafi verkehrte, pflegten Europäer und Nordamerikaner ein „business as usual“, oft jenseits von Gut und Böse ( Stichwort Zweiter Golfkrieg!).

Dass es „Diktatoren“ in Nordafrika gab, wurde der Öffentlichkeit erst bewusst gemacht, als es opportun war, diese aus dem Amt zu verjagen.
(Ab diesem Zeitpunkt änderte sich auch der Sprachgebrauch in den Medien – aus den oft euphemistischen Umschreibungen „Despoten“ und „autoritären Regimen“ wurden Diktatoren, Tyrannen, Diktaturen!)

Das Tunesien Ben Alis war immer schon eine Diktatur.
Im Jahr 1992 war ich dort, bereiste das Land, das von einem Despoten mit repressiven Mitteln still gehalten wurde.
Europa nahm das hin – ohne zu murren, weil es den Interessen Europas entsprach.


1998 bereiste ich Ägypten – ein unsicheres Land,.schon damals.
Mehrere Dutzend Westeuropäer wurden von radikalisierten Islamisten vor dem Hatschepsut- Tempel niedergemetzelt.
Sie waren wehrlos ihren Mördern ausgesetzt.
Es gab Anschläge vor dem Ägyptischen Museum, nahe dem Tahir Platz, wo unlängst die großen Demonstrationen stattfanden.

Präsident Hosni Mubarak wurde aus dem Amt gejagt!

Er wurde auch vom Westen fallen gelassen, obwohl er seit dem Attentat-Tod von Anwar el Sadat der Mann des Westens in der brisanten Region war,
der Garant des Friedens,
des Staus quo im Nahen Osten und am Suez,
auch wenn er innenpolitisch hart durchgreifen musste, um islamistische Bewegungen klein zu halten.

Wenn der Mohr seine Schuldigkeit getan hat,
dann darf der Mohr,
dann muss der Mohr gehen.

Das galt für Saddam Hussein im Irak, der lange als Bollwerk gegen den Iran der Ajatollas vom Westen gehätschelt und gepflegt wurde,
und
das gilt auch für Oberst und „Revolutionsführer“ Gaddafi im ölreichen Libyen, den dienstältesten Diktatoren in der Region, den manche Journalisten auch für den dümmsten und rücksichtslosesten aus der Schar der Gewaltherrscher und Tyrannen Afrikas halten.


Es ist erfreulich zu hören, dass Deutschland „gegen ein militärisches Eingreifen“ der NATO in Libyen ist.

Im Zweiten Golfkrieg, der auf den Aussagen eines einzigen Lügners beruhte und ohne „völkerrechtliches Mandat“ ausgetragen wurde, war Deutschland auch gegen einen Krieg,
im Prinzip,
ungeachtet „uneingeschränkter Solidarität mit den USA“.

Trotzdem musste auch Deutschland diesen Krieg im Irak mittragen und mit den Auswirkungen leben.

Dabei wurde bewusst, dass auch der freie Westen anderen Gegenden der Welt „Freiheit und Demokratie“ nicht aufzwingen kann, weder in Irak,
noch in Afghanistan … oder in Iran und Nordkorea.

Krieg darf nicht länger ein Mittel der Politik sein –

schon gar nicht nach den negativen Erfahrungen in Irak und Afghanistan, wo – nach ungezählten Opfertoten aus der Zivilbevölkerung – heute immer noch Bürgerkrieg herrscht.

Europa und die USA haben ihre Lektion in Sachen „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten andere Staaten“ ( eine Lieblingsfloskel des Völkerrechts aus dem Vokabular ehemaliger Ostblock –Diktatoren ) bis zu einen Grad begriffen.

Sie wissen, dass man sich mit Russland und China nicht anlegen kann,
weder ökonomisch-finanziell, noch kriegerisch.
Diese Zeiten sind vorbei.

Aber anderswo Macht demonstrieren – wie im Wüstenstaat Libyen?

Und das noch in Berufung auf moralische Positionen - um Freiheit und Demokratie zum Durchbruch zu verhelfen!

Ein Hohn!

Hoffentlich hält die deutsche Außenpolitik diesmal erfolgreich dagegen.
Carl Gibson


Nachbemerkung am 13. März 2011:

Das Einrichten und Durchsetzen einer "Flugverbotszone" über Libyen durch die NATO bedeutet Krieg.

Oberst Gaddafi, fanatisiert wie ein Saddam Hussein, wird sich zur Wehr, setzen,
weil auch er wohl die Selbstmythisierung anstrebt - und damit das Eingehen in die Geschichte als Held der arabischen Nation.

Der Krieg kann übergreifen
und er kann über neue Länder und Unruhenherde (Syrien, Libanon, Emirate, Saudi Arabien etc.) die Sicherheit und Integrität Israels bedrohen.

Krieg schüren ist unverantwortlich.

Darüber hinaus ist das Plazet der Arabischen Liga für eine solche Aktion zweischneidig,
die "moralische Argumentation" der westlichen Staaten bzw. der USA hingegen heuchlerisch,

da bei enstprechend konsequentem Vorgehen halb Afrika von Diktatoren befreit werden müsste.

Als mehr als eine Million Menschen in Schwarzafrika (Ruanda) im Hutu/Tutsi-Konflikt ihr Leben lassen mussten, blickte die UNO weg,
obwohl dort Völkermord (Genozid) stattfand,

ebenso die Moralisten aus Westeuropa,
vielleicht aus deshalb,
weil es in jener Region weder Öl, noch Erdgas, noch sonstige wertvolle Rohstoffe und Bodenschätze zu holen gab.

Wer ist der nächste auf der Liste der zu befreienden Staaten?

Iran?

Krieg sollte nach 1945 nicht weiter ein Mittel der Politik sein.

Auch kein Mittel der Ablenkung - etwa von hausgemachten Problemen in den USA, auch im Alten Europa, wie von den Auswirkungen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, Krisen, die bald wieder akut und vernichtend sein können. 


Nachtrag am 18. März 2011.

Die Resolution, eine Flugverbotszone über Libyen einzurichten, hat den Sicherheitsrat der UNO passiert.

Die kriegslüsternen Nationen (USA, Großbritannien, Frankreich) haben sich durchgesetzt und weitreichende Maßnahmen durchgedrückt - es kann also Krieg geben in Libyen, völkerrechtlich legitimiert.

Beantragt wurde die Errichtung und Durchsetzung einer "Flugverbotsszone" - genehmigt wurde dies und noch viel mehr ... an weitreichenden notwendigen Maßnahmen!

Ein Freibrief für Krieg?

Ein Blanko-Scheck für rücksichtsloses Vorgehen nach eigenem Ermessen?

Und dies, um Freiheit und Demokratie durchzusetzen,
um einen Diktator zu stürzen?

Eine Pseudo-Moral ist das, nackte Heuchelei.

Deutschland macht bei Kriegshandlungen nicht mit und wird keine Truppen nach Nordafrika entsenden.

Gut so.

Russen und Chinesen haben sich enthalten, obwohl sie genauso wenig neutral sind wie Deutschland, das "moralisch" natürlich auf der Seite der Freiheitsbewegung gegen Diktator Gaddafi steht.

Trotzdem sind die Russen im Grunde für die Resolution und für Krieg - weshalb?

Weil sie von dem steigenden Ölpreis profitieren werden, wenn es denn zu Krieg und Eskalation kommt.

Die Chinesen sind dagegen.
Weshalb?
Weil sie das Rohöl kaufen müssen.

Und Frankreich  - was macht die Grande Nation unter dem kleinen starken Mann Sarkozy, der Napoleon Bonaparte kompensatorisch nachzueifern scheint -

sie betreibt eine abenteuerliche Kriegsdiplomatie, die genau so verwegen ist wie die eigenwillige Atompolitik der Franzosen - auf Kosten der Sicherheit der Nachbarn.

Sonderbar - diese geeinte Europa.

Möge uns ein Waffengang erspart bleiben - und mit ihm die gefährlichen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, denn ein steigender Ölpreis wird - in Vernindung mit dem Straucheln der Japanischen Wirtschaft und den Auswirkungen der globalen Finanzkrise - die Weltkonjunktur abwürgen.





Nachtrag am 19.03. 2011.

US-Präsident Barack Obamas "moralische Argumentation", im Namen von Freiheit und Demokratie
an der Seite der Schwachen (Anti-Gaddafi-Rebellen)  in den Krieg zu ziehen,
um letztendlich den Diktator zu stützen,
ist zutiefst heuchlerisch und entspricht der oft praktizierten Art im Weißen Haus, die amerikanische Öffentlichkeit hinters Licht zu führen.

Gesagt wird, was populär ist, was gut klingt.

Nicht anders ist es in der bundesdeutschen SPD, wo einzelne Demagogen (rote Heidi) im Bundestag nun die Enthaltung Deutschlands kritisieren.
Auch das ist unehrlich und bigott.

Mit Krieg wird man in der Arabischen Welt keine abendländischen Werte einführen, schon gar nicht, wenn man die Arabische Liga zu instrumentalisieren sucht.

Fakt ist:

Wer immer an der Seite der Rebellen gegen Gaddafi eingreift, der verletzt und torpediert das Völkerrecht.

Wenn das Völkerrecht  (International Law) - eine höhere Ethik auf zwischenstaatlicher Ebene -  nicht mehr gebraucht wird,
dann soll man es abschaffen, um anschließend nach Gusto Kriege führen zu können - als
Bürgerkriegspartei, wo immer es passt.

"Diktatoren" sollten aus den eigenen Reihen gestürzt werden, aus dem eigenen Volk heraus - wie es Brutus und Wilhelm Tell taten.

Tyrannenmord und Widerstandsrecht haben eine lange Tradition -

im Abendland seit der Antike in Griechenland und Rom, ebenso in der Arabischen Welt.

Es bedarf keine äußeren Intervention.

Und wenn eine Supermacht wie die USA - flankiert von einigen kriegslüsternen Helfern - antritt, um einen Diktatur zu beseitigen, dann muss dies konsequenterweise mit allen Diktatoren der Welt geschehen.

Da kommt noch viel Liquidierungsarbeit auf USA und NATO zu.

Krieg ist Vernichtung –

Blicken wir doch kritisch in den Irak, um zu sehen, was die Beseitigung des Gewaltherrschers Saddam Hussein dem Volk und der Welt gebracht hat :

 Chaos, Terror, Bürgerkrieg, instabile Verhältnisse und vielfacher Tod.

Die USA hat sich geirrt - und ausbaden müssen diesen Irrtum - wie schon so oft in der Geschichte - die Völker.

Es ist gut, dass Deutschland sich in die Angelegenheit heraus hält.

Guido Westerwelle macht diesmal im Auftrag von Kanzlerin Angela Merkel eine gute Arbeit.
Hut ab!


Copyright: Carl Gibson


Aus:

Carl Gibson,

„Die Zeit der Chamäleons“ -


Aphorismen, Reflexionen, Maximen, Sentenzen, Ideen, Essays

zur Literatur, Philosophie und Geistesgeschichte und Kritisches zum Zeitgeschehen


Motto:



Zum Sinn der Philosophie heute

Philosophen sollen reden und schreiben,
Philosophen sollen Fragen aufwerfen und Antworten anbieten,
sonst ist ihr Denken umsonst!
Das – sprichwörtliche – Schweigen der Philosophen ist ein Irrweg, 
denn es verhüllt die Wahrheit und billigt die Lüge.

Das Schweigen der Denker nützt nur den Mächtigen.





 

Mehr zur "Philosophie" von Carl Gibson
in seinem zweibändigen Hauptwerk:

speziell in:

"Symphonie der Freiheit", (2008)
sowie in dem jüngst erschienenen

"Allein in der Revolte.

Eine Jugend im Banat", (2013)






 Philosoph und Zeitkritiker Carl Gibson

Weitere Aphorismen, Reflexionen, Maximen, Sentenzen, Ideen und Essays werden auf diesem Blog folgen.


Copyright: Carl Gibson
Fotos von Carl Gibson: Monika Nickel

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